from Inside!

Das Kunstprojekt “from Inside!” wurde im Oktober 2020 in der Jugendvollzugsanstalt Ebrach von den Künstler_innen Roger Bischoff und Jul Zureck in Zusammenarbeit mit dem Gefängnis-Seelsorger Hans Lyer und den Insassen der JVA durchgeführt. Im Verlauf von zwei Wochenenden wurde mit den Gefangenen zum Thema “from Inside!” ein Zine erstellt. Ein Zine ist ein selbstangefertigtes und per Kopierer vervielfältigtes Heft, dessen Ursprung in der DIY-Subkultur liegt und in dem verschiedenste Themen aus einer persönlichen und/oder politischen Perspektive verhandelt werden. “from Inside!” bezieht sich auf das innere Erleben und das “drinnen” hinter den Gefängnismauern. Dazu wurde mit verschiedenen Materialen und Medien gearbeitet (Zeichnung, Collage, Text, Linoldruck). Es jeweils eine Einführung sowie Übungen, um mit dem Medium und künstlerischem Arbeiten vertraut zu werden. Wichtig war vor allem, den inhaftierten Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, mit ihrem eigenen Ausdrucksvermögen und ihrer Kreativität in Kontakt zu kommen.

Nicht die Ergebnisse standen im Fokus, sondern der Prozess und Experimentierfreude. In den fertigen Zines wird ein Stück Realität der Inhaftierten sichtbar und kann auch über die Gefängnismauern nach außen transportiert werden. Am Ende des Projekts gab es eine Ausstellung der entstandenen Arbeiten in der Gefängnis-Kapelle. Dies ermöglichte es den Jugendlichen, auch Mitgefangenen und Beamten die Ergebnisse ihrer Arbeit zu zeigen. Der Arbeitsprozess wurde, zum Teil von den Teilnehmern, per Kamera begleitet. Daraus entstand eine Videoarbeit.

a kind of relationship that belongs to that ambiguous region

„It would seem that without being able to think about vulnerability, we cannot think about resistance, and that by thinking about resistance, we are already underway, dismantling the resistance to vulnerability in order precisely to resist.“ (Judith Butler).

Ausgehend von dieser These beginnt die Nachforschung. In fünf Interviews werden Fragen nach Gefühl und Handlungsmacht, nach Körper und Erfahrung, nach Empfänglichkeit und Interdependenz umkreist und die Bedingungen von Vulnerabilität, Stärke und Widerstand ausgelotet. Ausgehend von einer gemeinsamen queer-feministischen Perspektive untersuchen die Interviews auf sehr persönliche Weise verschiedene Auseinandersetzungen mit Verletzlichkeit. Dazwischen ein zerschmetterter Diamant-Schädel, der Stück für Stück sorgsam wieder zusammengesetzt wird, mit Goldstaub verklebt – Kintsugi, die Schönheit des Zerbrechlichen.

So entsteht ein experimenteller, intimer Dokumentarfilm (01:05:58) jenseits von Zuschreibungen und Schubladen. Dieser war als Teil einer Installation in der Ausstellung „Verletzbare Subjekte“ im ZAK, Zitadelle Spandau in Berlin zu sehen.

In einem zweiten partizipativen Teil der Installation wird die Frage weitergegeben an die/den Besuchenden_n. Eine Möglichkeit zum Innehalten, zur Selbstbefragung. Rollentausch. Etwas preisgeben, etwas dalassen. How does it feel?

https://vimeo.com/522304240

 

Rites of Spring

Die Foto-Arbeit „Rites of Spring“ setzt sich mit queerem ökosexuellem Begehren auseinander.

Dem Motto Seeing Nature as Lover not as Mother folgend unterwandert die Serie spielerisch und poetisch die gesellschaftlichen Vorstellungen von Sexualität und Kink auf der einen Seite als (sub-) kulturelle Praktiken und zur Natur auf der anderen Seite als nährende, immer gebende Mutter Erde, die ausgebeutet werden kann.

Gleichzeitig wird auch das anthropozentrische, cis-heteropatriarchale Narrativ von Natur = weiblich und Kultur = männlich dekonstruiert und durch eine nicht-binäre Perspektive ersetzt, die lustvoll mit der überbordenden Diversität und Queerness der Natur verschmilzt.

Die Arbeit verorten sich in der Ahninnenreihe von Annie Sprinkles und Beth Stephens SexEcological Weddings, in denen die Künstlerinnen sich performativ mit verschiedenen materiellen Aspekten der Natur vermählen. Auch hier wird die untrennbare und erotische Verbindung mit Natur thematisiert (oder eher: sich darin gesuhlt) sowie die Grenzziehung zwischen menschlich und nicht-menschlich aufgelöst – ganz im Sinne von Donna Haraways Chthuluzän.

Die Arbeit entstand im Frühling 2020 im Zuge des ersten Lockdowns in Reaktion auf den prachtvollen Frühling und die Isolation. Sie ist eine Untersuchung des fluiden, mäandernden eigenen Begehrens zwischen Spiel mit Geschlechtsidentität, Ritual und der Verbundenheit mit der Erde.

Verbrecher-Typen

Die Arbeit „Verbrecher-Typen“ befasst sich mit Wachsmasken, die der Mediziner und Psychiater Cesare Lombroso herstellte. Dieser Vertreter der Kriminalanthropolgie im ausgehenden 19. Jahrhundert erfand die Theorie des „geborenen Verbrechers“, erkennbar an seiner Physiognomie. Lombroso nahm Wachsmasken von hingerichteten Gefängnissinsassen ab, und benutzte deren Schädel, um seine Typisierungen in verschiedene „Verbrecher-Typen“ phrenologisch zu belegen. Hier ziehen wir eine Analogie zu der späteren historischen Entwicklung, der Eugenik, und den Kategorisierungen in „lebenswertes und unwertes Leben“ im Dritten Reich. Als Symbol dafür stehen die Grauen Busse, mit denen die Opfer der „Krankenmorde“ (z.B. bei der Aktion T4) zu den Tötungsanstalten gebracht wurden.

Vor die Wachsabformungen sind nun mit assoziativen Zitaten und einer Bildcollage bedruckte Vorhänge aus halbtransparentem Stoff gespannt. Durch diese können die Masken noch erahnt, jedoch nicht mehr direkt betrachtet werden.

Kubai – Doll of the World

Für die Ausstellung Rassismus – Die Erfindung von Menschenrassen habe ich zusammen mit Karoline Schneider eine künstlerische Intervention zu zwei Objektgruppen gemacht. Bei den „Objekten“ handelt es sich um sogenannte sensible Objekte, also z.B. „lebensechte“ Nachformungen von Menschen („Kubai“) oder Abformungen von Toten („Verbrecher- Typen“), die ohne deren Einwilligung her- und zur Schau gestellt wurden. Um eine Wiederholung dieses zur Schaustellens der Figurinen und Masken zu vermeiden, erarbeiteten wir ein Konzept zur Kontextualisierung. Dabei ist unser Anliegen, dass die koloniale Geschichte des Zeigens und Schauens reflektiert wird und die Betrachterin durch eine Irritation gewohnten Perzeptionsmuster auf die Gewaltförmigkeit und Problematik des Ausstellens „des Anderen“ aufmerksam wird. Für die Figurine „Kubai“, die Anfang des 20. Jahrhunderts durch die deutsche Firma Umlauff hergestellt wurde, gestalteten wir eine knallpinke Vitrine. Das Design lehnt sich an die Barbie-Serie „Dolls of the World“ an. Die Firma Umlauff stellte Wachs-Figurinen für Völkerkundemuseen her, um die damaligen, pseudo-wissenschaftlichen Vorstellungen von „Völkertypen“ zu illustrieren. Besonders stolz war sie auf die „Lebensechtheit“ dieser Figurinen. Auf die Kontinuitäten dieses stereotypisierenden, exotisierenden und eurozentristischen Denkens wollen wir mit der „Barbie“-Vitrine aufmerksam machen. Durch die Beleuchtung wird der Blick der Betrachtenden weg von der Figurine hin zur Vitrine gelenkt. Auf den drei Seiten der Vitrine wird über die Geschichte der „Kubai“-Figurine so wie der Firma Umlauff und deren koloniale Implikationen informiert.

xestia c-nigrum // on the beach

„Entweder man objektiviert, man verdinglicht, man »szientifiert« die Subjektivität, oder man versucht im Gegenteil, sie in ihrer prozessualen Kreativitätsdimension zu begreifen.“ – Félix Guattari

Grassi-Museum für Völkerkunde.
Aufzug ins Untergeschoss, -1.
Die auratische Atmosphäre der Institution weicht pragmatischer Nutzfläche; im Keller staut sich das aufbewahrte (An-) Gesammelte und (kollektive) Unbewusste.

In dieser vorgefundenen Umgebung situiert sich meine Installation: eine Assemblage aus verschiedenen Medien, Materialien und Motiven. Darin wird dem hegemonialen Narrativ des ethnologischen Museums, dessen (Sammlungs-)Geschichte untrennbar mit gewaltvoller Kolonialgeschichte [der blinde fleck das schwarze loch die eigene geschichte] verbunden ist, eine andere multiperspektivische Form von Erzählung gegenüber gestellt. In dieser prozessualen Auseinandersetzung werden die Möglichkeiten anderer Formen von Wissensproduktion durch die Erfahrung subjektiver Wahrnehmung verhandelt.

Unterhalb des Museums, an sich schon Ort der Heterotopie, eröffnet sich ein Experimentier-Raum. Aus den blinden Flecken wuchern Strukturen, überlagern und schichten sich in den assoziativen Bildern von Video-Collage, Zeichnungen und Frottagen. Die exotische Fototapete entwickelt ein Eigenleben und in den herumstehenden Vitrinen treten die Dinge miteinander in Beziehung.

„Imaginäres und Rationales – visionäre und objektive Vision – liegen dicht beieinander.“ – Donna Haraway

paranoid paradises*

Seit ich diese Landschaft gefunden habe (oder sie mich), flüstert sie mir Geschichten ins Ohr. Geschichten von irdischem Überleben, komplexen Systemen, verzwickten Verbindungen. Thom van Dooren sagt „Nichts ist mit allem verbunden. Alles ist mit etwas verbunden“. Und alles hat eine Geschichte (story, history, her_story). Aber wir wissen und achten so wenig über und auf die Geschichten um uns herum; das Lied der Landschaft, das Wissen der anderen Wesen, die darin wohnen. Und was wir wissen bleibt fest verschlossen in kleinen Boxen, die Wissenschaft heißen. Die Agave: wer hätte gedacht, dass sie eine Migrantin mit kolonialem Erbe ist? Die Dorade: wer hätte gedacht, dass sie genderfluid ist? Die Möwe: wer hätte gedacht, dass sie Salzwasser trinken kann? Diese wunderschöne Küstenlandschaft: wer hätte gedacht, dass der Boden vergiftet ist? Und was machen eigentlich die ganzen Queers hier?

Wir sind alle auf der gleichen Insel.

Und wenn wir uns aufmerksam umsehen, entdecken wir vielleicht die Fäden, die all diese Geschichten verbinden. Was können sie uns erzählen? Was können wir von ihnen für irdisches Überleben lernen? Wie können wir Verantwortung übernehmen?

Paranoid Paradises* ist ein multimediales artistic research project in verschiedenen parts und in progress.

https://vimeo.com/503130865

Mitteilungen aus dem Deutschen Schutzgebiet

Vitrine mit Masken, Projektion (loop), Bronzebüste, Texttafeln, Angelschnur, Sound (loop)

Karl Weule (1864-1926, Geograph, Ethnologe), früherer Direktor des GRASSI Museums für Völkerkunde, wird vom Akteur zum Exponat indem seine gewöhnlich im Treppenaufgang stehende Büste vom Sockel geholt und in einer Vitrine platziert wird. Hier befindet sie sich gegenüber den auf Weules Ostafrika-Expedition gesammelten Makonde-Masken – der „Sammler“ und „seine Sammlung“ werden zueinander in Beziehung gesetzt. Ein verzerrter preussischer Marsch untermalt geisterhaft die Gegenüberstellung. In Weules Vitrine befinden sich sowohl Erklärungstäfelchen aus dem Display des ethnologischen Museums als auch, in Mimikry des Dauerausstellungs-Designs, Zitate aus seinem Werk „Mitteilungen aus dem Deutschen Schutzgebiet“. In den Aussagen werden Aspekte der ethnologischer Forschung sichtbar, die gewöhnlich lieber verschwiegen werden, da sie nicht in das Bild des korrekten, heroischen Forschers passen. Zitate wie „Schon aus rein kolonialwirtschaftlichen Gründen müssen wir uns mit der materiellen Natur des N. befassen.“ lassen die enge Verknüpfung aus Rassismus, ökonomischen Interessen und Wissenschaft erkennbar werden. Auf der anderen Seite werden die Makonde-Masken von vermessenden Mustern überzogen, die sich langsam in Fadenkreuze verwandeln. Gleichzeitig scheint eine Lebendigkeit der Masken auf, die auch das Ausstellen hinter Glas nicht nehmen kann.

Exemplarisch werden hier „Erforschung“, Vermessung, Objektifizierung, Kategorisierung einer „fremden Welt“ als Strategien der Machtausübung und der kapitalistischen Gier erkennbar.

https://vimeo.com/155329429